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Wintertourismus neu gedacht


Wir dürfen unsere intakte Natur nicht aufs Spiel setzen. Deshalb brauchen wir einen Tourismus, der vor allem auf Qualität setzt, fordert Martin Barth, Gründer und Präsident des World Tourism Forum Lucerne (WTFL).

Foto: Pixabay.com

Der Winter steht vor der Tür, und viele Fragen bleiben ungeklärt: Wird es kurz vor dem Start der Skisaison zu einem erneuten Lockdown kommen? Ist der Schweizer Spezialweg im Umgang mit Corona der bessere und erfolgversprechendere als derjenige in den umliegenden Ländern? Und: Garantieren die getroffenen Massnahmen einen sicheren Wintertourismus?


Eines ist klar: Alle wollen raus, die frische Luft geniessen und sich bewegen. Damit dies gelingen kann, sind in erster Linie Eigenverantwortung und Selbstdisziplin gefragt. Die zweite Voraussetzung betrifft unsere Innovationskraft. Die Schweiz ist in dieser Disziplin eines der führenden Länder gemäss dem Global Competitiveness Report des WEF. Und das zu Recht: per App kann der Parkplatz, die Wintersportausrüstung und die Gondel auf den Berg reserviert werden; die Kontaktdaten werden digital erfasst und die Drinks in der Skihütte selbstverständlich bargeldlos bezahlt. Sind die beiden Voraussetzungen erfüllt, ist Zuversicht für die kommende Wintersaison angebracht.


Innovationen am Berg

Die Tools sind da, die Frage bleibt: Warum werden diese nicht öfter eingesetzt? Einige Start-Ups signalisieren, dass die Einführung auf die Wintersaison 2021/2022 geplant sei. Ob man sie dann noch gleich dringend braucht wie heute ist zu bezweifeln. Sind die Lösungen nicht bekannt? Hat man die Kontakte zu den relevanten Personen nicht? Bestehen Berührungsängste zu neuen Ideen von Start-ups? Das WTFL hat dank dem kontinuierlichen Screening von Jungunternehmen und neuer Geschäftsmodelle eine gute Übersicht, wer spannende Lösungen entwickelt.


Grundsätzlich könnten und müssten wir aber noch viel innovativer sein. Brauchte es wirklich eine Pandemie, um der Digitalisierung im Tourismus Schub zu verleihen? Die Zukunft gehört denen, die sich früh mit den innovativen Geschäftsmodellen von morgen verknüpfen, wie das etwa Zermatt, Flims-Laax und auch Andermatt tun. Nur so bleibt eine Destination agil, anpassungsfähig und resilient.


Halb so viele Gäste, die aber länger bleiben

Vielleicht will uns aber die Pandemie noch etwas Anderes lehren: Dass weniger mehr sein kann. Wie wäre es denn, wenn statt der vierzig Millionen Logiernächte in der Schweiz nur noch die Hälfte gebucht würde, diese Gäste aber länger bei uns bleiben – und doppelt so viel ausgeben?


Es mag sein, dass in dieser Überlegung nicht alle wirtschaftlichen Konsequenzen reflektiert sind. Trotzdem braucht es eine Diskussion zu den Möglichkeiten eines Tourismus, der mehr auf Qualität als Quantität setzt. Denn wenn das Nachdenken über eine nachhaltigere Entwicklung im Tourismus verunmöglicht wird, dann entsteht nichts Neues.


Weniger kann mehr sein

Die Halbierung der Logiernächte ist möglicherweise für unsere Tourismusindustrie ökonomisch nicht verkraftbar – vielleicht wird die Resilienz der Branche überschätzt. Aber wie steht es mit den ökologischen und sozialen Aspekten? Sind wir es der Umwelt und den Menschen nicht schuldig, uns etwas einzuschränken und den Grundsatz «weniger ist mehr» zu leben?


Tourismusexperten werden mahnen: «Reisen ist ein Menschenrecht, es verbindet Menschen, Völker und Kulturen». Das Reisen soll also nicht verboten werden. Aber macht es die Schweiz für Touristen und die Bevölkerung nicht gleichermassen attraktiver, wenn nicht mehr nur die Anzahl verkaufter Logiernächte zählt? Beginnen wir doch bereits in dieser Wintersaison mit dem Üben von «weniger kann mehr sein». Vielleicht erkennt der eine oder andere Chancen für sich persönlich, sein Unternehmen, die lokale Bevölkerung und die Umwelt. Darüber sollten wir diskutieren: Offen, unaufgeregt und zukunftsgerichtet.

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Martin Barth ist Gründer und Präsident des World Tourism Forum Lucerne (WTFL). Das WTFL ist eine globale Plattform, die analog dem WEF die relevanten Stakeholder – CEOs, Politiker, Investoren, Wissenschaftler, Start-ups und Young Talents zusammenbringt, um gemeinsam an nachhaltigen, neuen Geschäftsmodellen zu arbeiten. Die Hauptthemen sind: Innovation, Nachhaltigkeit, Entwicklung und Diversität. Ende April 2021 findet das neu lancierte «Innovation Festival» by WTFL in Andermatt statt.

Veröffentlicht am 08. Dezember 2020 von Peter Manhart
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